Austausch verschafft Wissen
06/05/2020Auswilderung Waldrapp
06/05/2020Auswilderung Uralkauz
IUCN Rote Liste: Bedrohungsstatus / Populations-Trend
Der Uralkauz (Strix uralensis), auch Habichtskauz genannt, ist eine große Eulenart deren Hauptnahrung kleine Säugetiere, insbesondere Mäuse und Bilche, darstellen. Auch Vögel werden gelegentlich erbeutet, spielen jedoch allgemein nur untergeordnete Rolle. Das Verbreitungsgebiet des Uralkauzes erstreckt sich entlang der borealen Nadelwälder von Skandinavien bis nach Ostasien an die pazifische Küste. In Mitteleuropa finden sich vielerorts einzelne Populationen, wie beispielsweise in den rumänischen Karpaten und den bewaldeten Gebieten der Dinariden. Als westlichster Teil des Verbreitungsgebiets gilt der Bayerische Wald, wo die Art bis in die 1920er Jahre mit Brutpaaren vertreten war. Eine Bejagung durch den Menschen – tote Eulen wurden oftmals sogar ans Scheunentor genagelt – führte schließlich zur Ausrottung des Uralkauzes im Bayerischen Wald, sowie den angrenzenden Wäldern auf der Seite des heutigen Tschechiens. Um die Art in diesen Gebieten wieder fest zu etablieren laufen bereits seit den 1970er Jahren verschiedene Wiederansiedlungsprogramme, die ab 2009 auch auf das Biosphärenreservat Wienerwald und das Wildnisgebiet Dürrenstein im benachbarten Österreich ausgeweitet wurden. Seit 2016 gibt es im Nordosten Bayerns ein weiteres Wiederansiedelungsprojekt. Das Kerngebiet der Auswilderung stellt der Naturpark Steinwald in der Oberpfalz dar, wo 2017 die ersten in zoologischen Einrichtungen geschlüpften Uralkäuze ausgewildert wurden. Seit 2020 beteiligt sich auch der Tiergarten Nürnberg an der Auswilderung des Uralkauzes in der Metropolregion Nürnberg mit im Tiergarten geschlüpften Jungkäuzen.
Unser Beitrag
Der Nürnberger Tiergarten hat eine lange Tradition erfolgreicher Nachzuchten des Uralkauzes. In der Tat gelang hier, bereits im Jahr 1965, die weltweit erste Nachzucht dieser Tierart. Allein im Zeitraum von 2003 bis 2020 wurden vom Nürnberger Brutpaar 38 Jungkäuze aufgezogen. Fünf dieser Tiere wurden an das Zuchtnetzwerk abgegeben, während 33 weitere im Rahmen der Wiederansiedlungsprojekte in Deutschland und Österreich in die Natur entlassen wurden. Unterstützt wird die Wiederansiedlung der Uralkäuze vom Nürnberger Tiergarten jedoch nicht nur durch das kostenlose Überlassen aller Nachzuchten. So wurde sowohl das wichtige Monitoring der Tiere, durchgeführt vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde in Wien, als auch die genetischer Grundlagenforschung an der TU München unterstützt. Zusätzlich übernimmt der Tiergarten mit dem Transport der Käuze in die Auswilderungsgebiete verbundene Kosten (veterinärmedizinische Untersuchungen, Geschlechtsbestimmung, Transportpapiere und -kosten). Diese umfassende Beteiligung ist ein Paradebeispiel für die Bedeutung moderner Zoos für den Artenschutz- und Erhalt auch außerhalb der Grenzen der eigenen Einrichtung.
Uralkauze werden im Tiergarten Nürnberg gehalten und gezüchtet.
Artikel zum Thema
Lautlose Jäger erobern die Wildnis
Uralkäuze bevölkern wieder den Bayerischen Wald – Die Nachzucht dieser Eulen im Tiergarten Nürnberg ist eine langjährige Erfolgsgeschichte – Hochtechnisierte Überwachungsmethoden geben detaillierte Informationen über die ausgewilderten Vögel
Tiergartenzeitung Ausgabe 12, April 2016, S. 5
Hänsel hält Wache. Aufrecht, den Kopf eng angezogen, das Gefieder glatt, nur leicht kugelig geplustert und mit einem Blick, dem nicht die leiseste Bewegung entgeht, sitzt er regungslos auf einem Ast in seinem Volieren-Revier des Nürnberger Tiergartens. Unweit von Hänsel brütet die 16-jährige Gretel noch in einem ausgehöhlten Baumstamm. Bald schlüpfen ihre Jungen...
„Strix Uralensis, Ural- oder Habichtskauz, bis zu 60 Zentimeter groß, Familie: Eulen“, steht vor ihrer Voliere. Der 14 Jahre alte Vater trägt übrigens eine besondere Verantwortung, werden doch seine Nachkommen – drei sollen es diesmal sein – nicht hinter einem Maschendrahtzaun alt werden: Bereits 25 Jungtiere des Eulenpaares hat der Zoo seit 2003 ausgewildert, zuerst in den Nationalpark Bayerischer Wald, später in Wienerwald und im Wildnisgebiet Dürnstein.
„Unsere Nachzucht von Uralkäuzen kann man definitiv als Erfolgsgeschichte bezeichnen“, sagt der stellvertretende Tiergarten-Direktor Helmut Mägdefrau mit Stolz und wirft einen langen Blick auf den prächtigen Habichtskauz. Zudem gelang in Nürnberg 1965 – sensationell und weltweit erstmals – die natürliche Nachzucht der attraktiven Eulenart, die in Deutschland, Österreich und Tschechien vor nicht ganz 100 Jahren ausgerottet war.
Wie es dazu kam? „Vor allem hat man sie einfach abgeknallt und gemäß einer uralten Tradition als Abschreckung ans Scheunentor genagelt“, erzählt Mägdefrau. „Das war schon deshalb dumm, weil sie besonders gute Mäusefänger sind: Im Winter lokalisieren sie die Mäuse sogar akustisch unter einer bis zu 30 Zentimeter hohen Schneedecke! Und nur selten jagen sie mal eine Wachtel.“
Im Zuge der Umstellung auf Wirtschaftswälder mit dünnen Fichten verschwanden aber auch die alten Bäume: Keine Höhlungen in Stämmen oder Bruchstellen als Nistgrundlage gab es mehr, „und auch die Mäuse liebten die für die Glasbläserei angelegte Nadelholz-Monokultur im Bayerischen Wald nicht besonders“, erläutert Mägdefrau. Dabei sei der Zusammenhang zwischen guten Mäusejahren und der steigenden Anzahl an Eiern im Eulen-Nest deutlich.
Chip verrät viel über die Wanderbewegungen
Ursprünglich stellte der Bayerische Wald die westlichste Spitze des einst riesigen Verbreitungsgebiets dar. Mitte der 1970er Jahre entschloss man sich, Uralkäuze anzusiedeln, um die einstige Artenvielfalt wiederherzustellen. Mägdefrau zieht die Augenbrauen hoch und merkt an: „Das ist, wenn auch mühsam, gelungen.“ Wolfgang Scherzinger, Zoologe im dortigen Nationalpark und Verfasser des Standardwerks „Die Eulen Europas“, war die treibende Kraft und entwickelte das Projekt der Wiederansiedlung. Auf tschechischer Seite zog man 1995 nach, Österreich folgte 2001 (siehe auch Kinderbuch-Tipp auf dieser Seite). „Ob mancher Vogel von hier nach dort gewandert ist...?“, deutet Mägdefrau das Problem an, die Vögel im Auge zu behalten.
Die Überwachungs-Methoden, das „Vogel-Monitoring“, seien besser geworden. Vor der Auswilderung werden die höchstens drei Monate alten Käuze beringt. Der im Ring enthaltene Chip liefert den Forschern sowohl individuelle Informationen zum einzelnen Tier (zu Beginn in der Auswilderungsvoliere, später beim Zufüttern und Brüten im überwachten Nest) als auch Erkenntnisse zur Population (Bestandsgröße, Ab- und Zuwanderung).
„Da ein Anpeilen der Vögel über Satellit wegen der Bäume nicht funktioniert, muss das täglich von Hand geschehen – und das ist teuer!“, betont Mägdefrau. So engagiert sich der Tiergarten Nürnberg im Rahmen des Artenschutzes auch finanziell an dem länderübergreifenden Großprojekt: „30.000 Euro flossen über die Jahre bislang nach Österreich, 15.000 Euro zudem für genetische Untersuchungen an die Technische Universität München.“
Nicht immer aber sind die Rückmeldungen erfreulich – auch vom Menschen lauern der seltensten Eule Deutschlands heute noch Gefahren: „Ein Tier von uns wurde angefahren, wir haben es hier im Tiergarten wieder aufgepäppelt und erneut im Bayerischen Wald ausgewildert. Ein Jahr später wurde es erneut zusammengefahren.“ Die Bitterkeit in seiner Stimme kann Mägdefrau nicht ganz verdrängen.
Flügge schon mit drei Monaten
Ganz nah dran am Auswilderungsprojekt im Bayerischen Wald war über 16 Jahre hinweg der Nürnberger Zooinspektor Max Reinhard. Alles begann 1992, als er junge Uralkäuze aus dem Tiergarten in den Nationalpark begleitete. „In der Spitze hatten wir vier Zuchtpaare, deren Jungvögel wir jährlich, wenn sie etwa drei Monate alt waren, ausgewildert haben; das war immer so im Juli/August, da die Käuze im März/ April brüten.“
Reinhard wurde nicht nur zum Auswilderungsexperten: Ende der 1990er Jahre entwickelte er zudem eine hilfreiche Konstruktion. „Naja, meine ,bahnbrechende Erfindung‘ besteht zum einen daraus, dass man die Zuchtvolieren teilen kann, und so die Eltern in unmittelbarer Nähe der jungen Eulen sind.“ Auch den aus Tierparks „zugereisten“ Jungkäuzen ermöglicht der Rufkontakt zu einem Zuchtpaar nebenan eine raschere Eingewöhnung. „Zum anderen können die Vögel in der Übergangszeit zur Auswilderung durch eine spezielle Luke in der Voliere, wann immer sie wollen, in die Freiheit fliegen und ebenso zurückkehren: Ein Elektrozaun schützt sie gegen Raubtiere“, erläutert Reinhard. „Und es hat mich gefreut, als ich sah, dass die Volieren-Konstruktion im Wienerwald übernommen wurde.“
Er blickt zurück: „Der Anfang war schon zäh. Wenn die Vögel wegfliegen und sich nicht wiederfinden lassen... Da braucht man oft einen langen Atem!“ erzählt der Auswilderungsexperte, und es werden Szenen vor dem inneren Auge lebendig: Uralkäuze, die sich nach dem Verlassen der Voliere an kameraüberwachten Futtertischen Mäuse und Ratten schmecken lassen, bevor sie die Nahrungssuche selbst übernehmen und im eigenen Revier zum Naturvogel werden. Oder junge Kauzpaare, die selbst eine Mülltonne mit herausgeschnittenem Loch als Nisthilfe annehmen.
„In jedem Fall sollte jemand, der in einem Baum Nistplätze kontrolliert, reinigt oder Daten sammelt, Ledermontur und Gesichtsschutz mit Visier tragen“, meint Reinhard verschmitzt. Bei gewissen Dingen verstehen Uralkäuze wohl einfach keinen Spaß...
Text: Anabel Schaffer