IUCN Rote Liste: Bedrohungsstatus / Populations-Trend
Eine wichtige Voraussetzung um im Zoo tiergerechte Lebensräume zu gestalten aber auch um Tierarten in ihrem natürlichen Habitat besser schützen zu können, ist zu wissen wie sie ihre Umwelt wahrnehmen. Riechen, sehen, schmecken, hören und fühlen sind die bekanntesten Sinneseindrücke. Wie sieht es jedoch mit der Wahrnehmung elektrischer Felder aus? Viele Lebewesen erzeugen elektrische Signale, z.B. durch Atem- oder Muskelbewegungen. Auf der Suche nach Beute hilft somit die gezielte Wahrnehmung der elektrischen Felder. Diese Fähigkeit wird Elektrorezeption genannt und ist bekannt bei Haien und Rochen. Unter den Säugetierarten konnte man diese bisher nur beim Schnabeltier, bei zwei Vertretern der Ameisenigel und dem Sotalia-Delphin nachweisen. Bei allen genannten Tieren findet man ähnlich aufgebaute Elektrorezeptoren, mithilfe derer die elektrischen Felder wahrgenommen werden. Haie und Rochen und auch das Schnabeltier besitzen bauchige Einstülpungen auf dem Schnabel bzw. am Kopf.
Erste Vorversuche mit einem Sotalia-Delphin haben gezeigt, dass auch diese Art kleinste elektrische Felder wahrnehmen kann. Ob auch Große Tümmler (Tursiops truncatus) diese Fähigkeit besitzen, wird aktuell im Tiergarten Nürnberg untersucht. In einem Verhaltensexperiment haben die Großen Tümmler gelernt auf diese elektrischen Felder zu reagieren. Dafür haben die Delphine zuerst gelernt auf ein akustisches Signal hin die verwendete Versuchsapparatur (siehe Bild) zu verlassen. Nachdem sichergestellt werden konnte, dass die Delphine nicht nur auf akustische sondern auch auf visuelle bzw. taktile Signale reagierten, wurde getestet ob sie das gelernte Verhalten auch auf elektrische Felder übertragen können. Alle Delphine reagierten sofort auf diese neuen Reize. Dieser Versuch liefert somit den Beweis, dass auch Große Tümmler über einen Elektrosinn verfügen.
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Die Großen Tümmler reagieren äußerst sensibel auf feinste elektrische Reize Tim Hüttner sammelt in der Delphinlagune Daten für seine wissenschaftliche Arbeit
Tiergartenzeitung Ausgabe 12, April 2016, Seite 9.
Katzen haben Sinneshaare, Elefanten und Gorillas auch. Sie können damit Abstände einschätzen, Futter finden und Gefahren wahrnehmen. Der Mensch ist das einzige Säugetier ohne Haare im Gesicht, mit denen er tasten kann. Mit seinem Bart spürt ein Mann nichts, außer vielleicht, dass es kratzt.
Sogar Delphine haben einzelne Haare im Gesicht, wenn sie zur Welt kommen. Zwischen sechs und neun Stück wachsen auf jeder Seite ihres Oberschnabels, zwei bis drei Zentimeter lang. Aber schon in den ersten Wochen nach der Geburt fallen diese sogenannten Vibrissen aus. „Biologen vermuten, dass die Härchen den Jungtieren helfen, nach den Milchdrüsen der Mutter zu tasten“, erklärt Tim Hüttner. „Die Kälber sehen zwar von Anfang an gut, aber Delphine haben einen kleinen toten Winkel über ihrem Schnabel.“
Hüttner studiert Biodiversität und Ökologie am Lehrstuhl für Tierphysiologie an der Uni Bayreuth und arbeitet im Nürnberger Tiergarten. In seiner Masterarbeit hat er die Tasthaare der Delphine untersucht – zumindest das, was davon übrig bleibt. „Das sind keine normalen Körperhaare wie an den Armen oder auf dem Kopf. Ihre Wurzelhöhle ist so stark von Nerven und Blutgefäßen durchzogen, dass sie eine Aufgabe haben muss, auch wenn die Vibrissen schon ausgefallen sind“, sagt der 26-Jährige. Ohne Grund hält die Natur kein Körperteil warm, das ständig von kalten Wasser umspült wird. Das kostet Energie. Die Evolution muss sich also etwas dabei „gedacht“ haben.
„Es gibt Hinweise darauf, dass Delphine mit den Haarwurzelhöhlen elektrische Felder wahrnehmen, wie es sonst nur Fische können“, erklärt der Student. Damit wären sie die einzigen Säugetiere, neben dem Schnabeltier und dem Schnabeligel, die über diese besondere Fähigkeit verfügen. Mit Hilfe des vierjährigen Kai, einem der Großen Tümmler im Nürnberger Tiergarten, hat Hüttner diese Vermutung überprüft.
Alle Lebewesen erzeugen durch ihre Muskelbewegungen und Nervenimpulse kleine elektrische Spannungen. Aber nur manche können sie wahrnehmen. Haie spüren mit ihren Elektrorezeptoren die Bewegung anderer Fische und orientieren sich am Magnetfeld der Erde. Zitteraale betäuben und töten ihre Beute mit selbst erzeugten Stromstößen. Schnabeltiere jagen mit geschlossenen Augen und suchen im schlammigen Grund nach Schnecken. Dass sie Elektrizität wahrnehmen, haben Wissenschaftler mit versteckten Batterien getestet. „Elektrorezeption funktioniert nur im Wasser, weil es im Gegensatz zur Luft den Strom leitet“, erklärt Hüttner.
Bei den Großen Tümmlern in der Nürnberger Lagune sind die Haarwurzelporen noch gut zu erkennen: weiße Punkte auf den grauen Schnäbeln. Die Haare sind weg, aber die Strukturen unter der Haut noch da. Die Tiere sind trainiert, auf Kommando einen Ball zu fangen, rückwärts zu schwimmen und Saltos zu schlagen, um ihr Futter zu „erbeuten“. Nun musste Tim Hüttner Kai beibringen, auf feinste elektrische Reize zu reagieren – falls er sie spürt. Kai lernte, in einem Gestell aus Rohren eine mit rotem Plastikband markierte Stelle zu berühren und sie erst dann zu verlassen, wenn er ein Signal bekam.
„Go or No-Go“ – „Geh oder Bleib“ heißt dieses Verfahren in der Verhaltensforschung. „Wir bringen das Tier in eine Situation, in der es eine Entscheidung treffen muss und sie uns auch mitteilen kann.“ Als Belohnung gibt es dafür einen Fisch. Am Anfang war das Signal eine Melodie, dann eine Lampe, anschließend ein Wasserstrahl und schließlich Strom. „Die Spannung ist so schwach, dass wir Menschen sie überhaupt nicht merken würden, wenn wir unsere Hand im Wasser hätten“, erklärt Hüttner. Kai passiert nichts. „Er ist noch jung und verspielt, jedoch auch ehrgeizig, wenn er zweimal falsch lag, hatte er keine Lust mehr.“ Aber er reagierte sofort, als Hüttner zwei Millivolt durchs Wasser jagte – das ist etwa so viel, wie verletzte Krebse aussenden, wenn ihnen ein Stück Panzer fehlt. „Ich saß da und war sprachlos“, erinnert sich der Student. „Das ist ein eindeutiger Hinweis.“ Er konnte nachweisen, dass Delphine, obwohl sie Säugetiere sind, tatsächlich elektrische Reize wahrnehmen können.
Von Sotalia-Delphinen gibt es Fotos, auf denen die Tiere regelrecht im Schlamm nach Futter wühlen. Ihre Echoortung hilft ihnen dabei nicht mehr weiter, Elektrorezeptoren könnten es. Inwieweit sich die Ergebnisse auf andere Delphine übertragen lassen, würde Tim Hüttner gerne weiter untersuchen. Am liebsten in einer Doktorarbeit. 13 Monate hat Hüttner in seine Masterarbeit investiert. Im März bekam er die Note mitgeteilt: 1,0.
Lorenzo von Fersen, Kurator für Forschung und Artenschutz im Nürnberger Tiergarten, hofft, dass diese Erkenntnisse eines Tages zum Schutz der Tiere beitragen: „Noch immer verenden jedes Jahr mehr als 300.000 Tiere als unnützer Beifang in Fischernetzen. Vielleicht könnten wir eines Tages mit elektrischen Reizen dafür sorgen, dass die Delphine einen großen Bogen um die Netze machen.“
Text: Christina Merkel