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IUCN Rote Liste: Bedrohungsstatus / Populations-Trend
Der Große Tümmler im Südwestatlantik: lange Zeit ignoriert, heute stark bedroht
Die Großen Tümmler des Südwestatlantiks wurden im Jahr 2019 als eine neue Unterart (Lahille Tümmler - Tursiops truncatus gephyreus) des weltweit verbreiteten Großen Tümmlers (T. truncatus) anerkannt. Der Lahille-Tümmler ist durch eine Reihe von Gefahren im gesamten Verbreitungsgebiet (Südbrasilien, Uruguay und nördliche Atlantikküste Argentiniens) stark bedroht. Hauptgefahr geht von der Fischerei aus, wobei Beifang als wichtigste Problematik anzusehen ist. Aber auch die Überfischung und die Verschmutzung der Küstengewässer haben dazu geführt, dass die Gesamtpopulation bei max. 600 Individuen liegt. Eine durch die Gefahren hervorgerufene Verinselung der Art hat zu einer Zerstückelung geführt. Die Populationen sind sehr klein (weniger als 100 Individuen pro Population) und leben in küstennahen Lebensräumen wie Buchten und Flussmündungen, während sich andere entlang des Küstenbruchs in offenen Gewässern ausbreiten.
Eine kürzlich durchgeführte Studie legt nahe, dass die Lahille-Tümmler in Südbrasilien und Uruguay (SB-U) Teil einer Evolutionary Significant Unit (ESU) sind, die genetisch von den in Zentralargentinien vorkommenden Lahille-Tümmlern isoliert wurde. Die SB-U ESU besteht aus mindestens fünf Delfin-Gemeinschaften mit sehr geringer genetischer Vielfalt und eingeschränkter Ausbreitung zwischen ihnen.
Auf der anderen Seite besteht die ESU Argentinien aus einer kleinen Population, die aufgrund einer reduzierten Rekrutierungsrate im Zusammenhang mit einer geringen Anzahl sich reproduzierender Weibchen, potenziell abnimmt. Der Beifang in der Stellnetzfischerei gilt als die Hauptbedrohung für diese lokalen Gemeinschaften. Bei einem geschätzten Anteil von 60% geschlechtsreifer Individuen kann die Gesamtzahl der adulter Individuen auf 360 geschätzt werden, was weit unter der Schwelle liegt, um nach Kriterium D1 als gefährdet eingestuft zu werden. Aus diesem Grund wird die Art jetzt in der Roten Liste der IUCN als gefährdet und in der Nationalen Roten Liste Brasiliens als vom Aussterben bedroht eingestuft.
Es ist wichtig zu erwähnen, dass der Lahille-Tümmler lange Zeit zu den nicht gefährdeten Großen Tümmlern zählte, weshalb ihm wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Während wichtige Informationen durch Feldstudien in den 1990er Jahren gewonnen wurden, erschwerte die Diskontinuität der Datenerhebung in den folgenden Jahren die Anwendung zuverlässigerer Ansätze zur Untersuchung anderer wichtiger ökologischer und biologischer Aspekte dieser Populationen. Seit ca. 15 Jahren wurden jedoch an einigen Standorten systematische Langzeit-Feldstudien mit konsistenter Datenerfassung etabliert, was ein Wendepunkt im Verständnis relevanter Aspekte der Ökologie der Art darstellt und ein genaueres Bild des Bedrohungsstatus lieferte.
Unser Beitrag
Fünf-Jahres-Erhaltungsstrategie für den Lahille Großen Tümmler
Die Erhaltung der biologischen Vielfalt ist nach wie vor ein dringendes Gebot für die Gesundheit unseres Planeten. Angesichts der zunehmenden Herausforderungen durch vom Menschen verursachte Probleme wird die Erhaltung jeder einzelnen Art zu einer entscheidenden Priorität. Der Lahille Große Tümmler (Tursiops gephyreus), von dem es nur noch maximal 600 Exemplare gibt, sieht sich einer zunehmenden Bedrohung durch die Zerstörung seines Lebensraums, Verschmutzung, Beifang und den Klimawandel ausgesetzt, was die dringende Notwendigkeit konzertierter Schutzmaßnahmen deutlich macht.
In Anbetracht des gefährdeten Status des Lahille Großen Tümmlers haben YAQU PACHA und der Tiergarten Nürnberg gemeinsam mit der Gephyreus-Arbeitsgruppe aus Brasilien eine strategische Maßnahme eingeleitet, die erst vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde. Ziel dieser Zusammenarbeit war es, Forschungsprioritäten festzulegen und die Erhaltungsmaßnahmen zu koordinieren, um das Überleben der Art zu sichern.
Die umfassende Strategie, die den Empfehlungen der Integrierten Erhaltungsplanung für Wale und Delfine (ICPC) folgt, ist das Ergebnis umfangreicher Konsultationen, Überprüfungen und Expertenbeiträge. Es wurden fünf strategische Bereiche festgelegt: (1) Wissenschaftliche Forschung und Erhaltung, (2) Gesetzgebung und Politik, (3) Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung, (4) Stärkung der Institutionen und Bildung und (5) Bürgerwissenschaft.
Nach sorgfältiger Abwägung stellten die Forscher ein Portfolio von Projekten zusammen, die mit jeder strategischen Linie übereinstimmen, wobei sie Faktoren wie Durchführbarkeit, Auswirkung und Einbeziehung von Interessengruppen berücksichtigten. Von den 26 wesentlichen Projekten wurden acht als hoch prioritär eingestuft, was den strategischen Schwerpunkt auf Initiativen mit dem Potenzial für erhebliche Auswirkungen auf den Naturschutz widerspiegelt.
Dieser 5-Jahres-Strategieplan unterstreicht das Engagement für die Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen, denen sich die Lahille Großen Tümmler gegenübersehen. Durch die Förderung der internationalen Zusammenarbeit, das verstärkte Engagement der Interessengruppen und die Festlegung von Prioritäten für gezielte Maßnahmen bleiben die Interessengruppen fest entschlossen, diese stark bedrohte Art zu schützen.
“Dieses Dokument ist die wichtigste Grundlage für eine gut durchdachte Erhaltungsstrategie, und wenn es uns gelingt, die verschiedenen Projekte umzusetzen, können wir sicher sein, dass der Lahille Große Tümmler(Tursiops gephyreus) eine Zukunft haben wird”, sagte Dr. Lorenzo von Fersen, Vorsitzender von YAQU PACHA und Kurator für Forschung und Naturschutz am Tiergarten Nürnberg.
Artikel zum Thema
Tümmler trifft Trawler
Die erste internationale Tagung im Tiergarten befasste sich mit dem schwindenden Lebensraum für Delfine an der südamerikanischen Meeresküste
Tiergartenzeitung Ausgabe 9, November 2014, S. 4
Worauf beruht unser Wissen über Tierarten? Oft sind es nur zufällige Beobachtungen, aus denen wir Schlüsse ziehen – und nicht selten die falschen. Das wissenschaftliche Symposium des Nürnberger Tiergartens legte dagegen im Sommer Ergebnisse langjähriger Forschung vor.
Ein Delfin stupst einen Ertrinkenden im Meer vor sich her und bringt ihn schließlich an den Strand. Schon ist die rührselige Mär vom Tümmler als Menschenretter geboren. „Sie verbreitet sich dann im Internet wie ein Virus über die ganze Welt“, stöhnt Lorenzo von Fersen, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Tiergartens Nürnberg.
Aber war es tatsächlich eine Rettungstat? Oder wollte der Delfin einfach nur spielen und hätte er den Schwimmer nicht zufällig in die entgegengesetzte Richtung – nämlich aufs offenen Meer hinaus – bugsieren können? „Dann könnte der Ertrinkende nichts mehr von der ,guten Tat‘ erzählen“, meint von Fersen. Mit der Erzählung macht er deutlich, wie schnell man sich durch die Interpretation einer Beobachtung irren kann.
Forschung und ihre Ergebnisse sind für den Biologen die einzige Basis, um Wissen über die Fauna zu gewinnen. Das war auch der Anlass für das internationale Symposium mit acht Vorträgen zu Forschung und Artenschutz in Südamerika, an dem rund 100 Studenten und Interessierte aus anderen Zoos im Sommer in Nürnberg teilgenommen haben.
Tiergartenzeitung Ausgabe 9, November 2014, S. 4
Die Wissenschaftler informierten über ihre Arbeit an den Küsten Chiles, Brasiliens oder Perus. Dabei stützten sie sich wie etwa Professor Eduardo Secchi auf empirische Daten, die in den vergangenen 20 Jahren gesammelt wurden.
Secchi beobachtet die Population von Großen Tümmlern in der südbrasilianischen „lagoa dos patos“, der Entenlagune. Die Gruppe umfasst rund 80 Säugetiere, ihr Bestand variiert über die Jahre um etwa fünf Tiere mehr oder weniger. Durch Foto-Identifikation wissen die Forscher genau, welche Tümmler sich in der 180 Kilometer langen Lagune aufhalten. Denn die Finne eines Delfins ist so individuell wie der Fingerabdruck eines Menschen. Die ersten Fotografien gehen auf 1976 zurück, seit 1998 werden die Lagunen-Bewohner systematisch abgelichtet. Dadurch ergeben sich verlässliche Zahlen für die Population.
Um die Größenordnung für den Verlust durch Beifang einschätzen zu können, suchten die Biologen regelmäßig rund 500 Kilometer Meeresstrand außerhalb der Lagune ab. Pro Jahr wurden dort zwischen acht und 14 tote Tümmler angeschwemmt. Zum Teil waren sie mit Macheten grausam verstümmelt, weil sich die Meeressäuger mit ihren Flossen in den Nylonnetzen verheddert hatten und die Fischer ihre Netze retten wollten. Laut Statistik entdeckte man in den Monaten Januar bis März die meisten toten Tümmler an den Stränden – genau zu jener Zeit also, in der die Fischerboote wegen der dann auftauchenden, beliebten Fischart Corvina die Meeresgründe verstärkt abgrasen.
Was die Wissenschaftler erstaunte: Die Delfin-Population in der Lagune blieb trotz der Beifang-Opfer stabil. Weitere Beobachtungen sowie Untersuchungen der Kadaver brachten eine interessante Erkenntnis. Die Delfinweibchen bleiben überwiegend standortreu in der Bucht, während die männlichen Säuger ins Meer hinausschwimmen. Fast zwei Drittel der Beifang-Opfer waren nämlich Bullen. „Der Verlust eines Weibchens in der überschaubaren-Lagune-Gruppe wäre ein großes Problem, weil sie durch Nachwuchs für den weiteren Bestand sorgen“, meint von Fersen, „auf eine gewisse Anzahl männlicher Tiere kann man eher verzichten.“
Gesetz bestimmt neue Sperrgebiete
„Um den Tümmler-Bestand der Lagune zu schützen, reicht es also aus, direkt in der Bucht ein Fischereiverbot zu verhängen“, meint Tiergarten-Direktor Dag Encke, „die ursprüngliche Forderung, den Fischfang an der ganzen Küste zu untersagen, war damit nicht mehr nötig.“
Ob die Maximalforderung überhaupt durchsetzbar gewesen wäre, ist eine andere Frage. Doch erst das Sezieren der Kadaver hatte auch bei den Wissenschaftlern zu einem Weiterdenken und zu anderen Konsequenzen geführt. Tote Tiere sind also für die Forschung nicht nutzlos oder verloren: „Wir können von ihnen noch viele Erkenntnisse gewinnen“, sagt Encke.
Seit 2012 gilt in Brasilien ein neues, verschärft es Fischereigesetz, zu dem die Erkenntnisse der Forscher beigetragen haben: Es gibt Sperrgebiete für Fischfang, die Länge und Größe der Netze wurden stärker beschränkt, die Fischerei an der Küste reguliert. Ob sich damit das Kollabieren von immer mehr Fischgründen verhindern lässt? Weitere Forschungen werden Aufschluss geben. Die südamerikanischen Wissenschaftler müssen sich in der „lagoa dos patos“ künftig außerdem mit weiteren, äußerst gravierenden Fragen befassen. Ausgerechnet dort soll nämlich der größte Hafen Brasiliens entstehen – mit entsprechendem Verkehr. Riesige Containerschiffe durchpflügen schon die Bucht, Baulärm schallt durch die Lagune. Wie beeinflusst dies die Tümmler-Gruppe? Derzeit sieht man sie neugierig um die enormen Schiffskolosse herumschwimmen. Doch gibt es ein unproblematisches Nebeneinander auf Dauer oder verschwinden die Meeressäuger langfristig aus der Bucht? Die Wissenschaftler werden die weitere Entwicklung genau beobachten.
Jedes menschliche Eingreifen in die Natur hat Konsequenzen. Eine unerwünschte Folge hatte das verschärfte Fischereigesetz bereits: Die Fischer arbeiten nicht mehr mit den Wissenschaftlern zusammen, bedauert von Fersen. Der 57-Jährige, der seit 1998 für den Tiergarten arbeitet, hat keineswegs nur die Großen Tümmler im Blick. Für ihn sind die Flipper werbewirksame Botschafter für das gesamte Ökosystem Meer, das durch Leerfischen, Verschmutzung, Fracking oder auch Klimawandel immer stärkeren Belastungen ausgesetzt ist.Das Symposium war für den Tiergarten Nürnberg nur ein erster Schritt . Andere Zoos wie Wien oder Köln veranstalten ebenfalls wissenschaftliche Tagungen und knüpfen damit Netzwerke zu Universitäten. Für die Studenten, die unter anderem aus Rostock, Hamburg, München und Tübingen nach Nürnberg gekommen waren, bot das Wochenende im Juli mehr als interessante Vorträge. Manche Teilnehmer vereinbarten mit den südamerikanischen Forschern Praktika in Chile oder Kolumbien. Und für den Tiergarten am Schmausenbuck ist klar: Nach dem erfolgreichen Auftakt findet in zwei Jahren die nächste internationale Tagung statt.
Text: Hartmut Voigt